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Wir haben die Philosophie des “Slow Travel” nicht erfunden, aber wir haben sie uns von Anfang an zu eigen gemacht. Im Kern geht es darum, gewohnte Maßstäbe bei der Bewertung einer Reise abzulegen. Wem das gelingt, erfährt womöglich ein ganz neues Reiseerlebnis und vielleicht sogar eine bisher unbekannte Art der Selbstermächtigung.

Der Status quo

Um zu einer neuen Sichtweise zu gelangen, ist es notwendig, einmal objektiv zu betrachten, “was ist”. Und gerade beim Reisen mit Wohnmobil und Co. herrscht immer noch die weit verbreitete Annahme vor, dass nur eine weite Reise eine gute Reise ist.

Das ist eine (vermeintlich) so unumstößliche “Wahrheit”, dass man gar nicht erst auf die Idee kommt, sie in Frage zu stellen. Und aus dieser Grundannahme ergibt sich fast zwangsläufig ein Spannungsfeld, wenn man nun Elektro-Camper in dieses Thema einführt.

Denn es ist nicht zu leugnen: Elektro-Camper haben heute – und wahrscheinlich auch noch in einigen Jahren – eine geringere Reichweite pro Ladung als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Das ist einfach eine Tatsache.

Es ist verständlich, dass vor dem Hintergrund des oben beschriebenen Glaubenssatzes, dass nur eine weite Reise eine gute Reise ist, die erste Reaktion daher ist, Elektro-Camper als sinnvolle Alternative zum Diesel abzulehnen.

Tatsächlich gibt es aber gute Gründe, einen Schritt zurückzutreten und diesen Glaubenssatz kritisch zu hinterfragen.

Warum Reisen neu denken?

Zum einen hat inzwischen wohl jeder begriffen, dass es nicht egal ist, wie viel Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen. Da sollte es nicht ganz abwegig sein, darüber nachzudenken, ob es wirklich eine gute Idee ist, täglich 600 Kilometer und mehr mit einem über drei Tonnen schweren Fahrzeug zurückzulegen.

Neben der Verantwortung für den eigenen Beitrag zur Klimakatastrophe gibt es aber auch das Argument der Selbstfürsorge. Denn mal ehrlich: Ist es wirklich entspannend, jeden Tag so lange hinterm Steuer zu sitzen, weil die Distanzen zwischen den selbst gesteckten Tageszielen so groß sind? Oder macht man sich damit nicht nur den berühmten “Freizeitstress”, wenn man viel zu viele Punkte auf der Liste hat, die abgehakt werden müssen?

Die sozialen Medien verstärken diesen Druck natürlich noch. Denn alles, was man auf Youtube und Instagram sieht, sind glückliche Menschen am Nordkap, in Südfrankreich oder Portugal, die angeblich völlig entspannt, mit aller Zeit der Welt und natürlich ganz allein die schönsten Plätze ihres Reiselandes genießen.

Ich will nicht behaupten, dass nichts davon stimmt, aber im Grunde wissen wir doch alle, dass die Realität diesem Idealbild deutlich weniger entspricht. Denn natürlich sind gerade an den beliebtesten Orten viele andere Reisende gleichzeitig unterwegs und verderben das wichtige Beweisfoto für Instagram oder den Whatsapp-Status. Und vielleicht war schon die Anreise anstrengender, als man zugeben möchte, weil man etwas zu spät dran ist, aber auf keinen Fall den perfekten Sonnenuntergang verpassen darf.

Wer also ehrlich ist, darf das Mantra von der unbedingten Langstreckentauglichkeit als Voraussetzung für die perfekte Reise ruhig in Frage stellen.

Wie könnte es klappen?

Wenn man also einmal grundsätzlich in Betracht zieht, seine bisherigen Überzeugungen zu überdenken, eröffnen sich Möglichkeiten, die bisher nicht einmal entfernt im Bereich des Denkbaren lagen.

Das fängt schon bei der Wahl des Reiseziels an. Ich persönlich musste mit Erstaunen feststellen, dass ich selbst in meiner unmittelbaren Nachbarschaft viele schöne Ecken noch kein einziges Mal besucht hatte. Vom Rest des Landes ganz zu schweigen. So taten sich mir plötzlich unzählige neue potentielle Reiseziele auf, die ich vorher noch gar nicht auf dem Schirm hatte.

Ein weiterer Punkt ist die Erkenntnis, dass man sich für lange Strecken einfach viel mehr Zeit nehmen muss. Die Reisenden früherer Zeiten haben das ganz selbstverständlich getan. Dann ist aber auch klar, dass eine Reise vom Bodensee bis zum Nordkap und zurück in drei Wochen nur wenig erholsam sein kann.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich spricht nichts dagegen, von Deutschland aus nach Norwegen oder Südfrankreich zu fahren. Im Gegenteil: Diese Länder sind an Naturschönheit kaum zu überbieten! Aber dann sollte man vielleicht darüber nachdenken, sich vier, fünf oder sechs Wochen Zeit für diese Länder zu nehmen, um ihnen und sich selbst gerecht zu werden.

Ich weiß natürlich, dass nicht jeder vier oder sechs Wochen Urlaub machen kann. Aber eine Lösung könnte sein, nur jedes zweite oder dritte Jahr eine solche Fernreise zu unternehmen und in den Jahren dazwischen näher gelegene Ziele anzusteuern.

Wenn also die Notwendigkeit, täglich Hunderte von Kilometern zu fahren, aus den oben genannten Gründen wegfällt, dann ist ein Elektro-Camper plötzlich eine sinnvolle und umweltfreundliche Option, und Slow Travel eine attraktive Idee!

Zeit als weiterer wichtiger Aspekt von Slow Travel

Slow Travel ist aber nicht nur eine Frage der zurückgelegten Strecke. Untrennbar damit verbunden ist auch die Zeit. Zeit, die man entweder auf der Straße verbringen kann oder die man viel besser für sinnvolle und “merk-würdige” Erlebnisse nutzen sollte.

Das erfordert zwar ein gewisses Umdenken, aber das kann man trainieren. Dann haben nicht mehr die zehn “instagrammable” Fotos und das Abhaken der Zielliste oberste Priorität. Vielmehr nimmt man sich vor, einfach einmal “unnatürlich lange” an einem Ort zu verweilen. Ohne dort etwas “Sinnvolles” oder “Nützliches” zu tun. Einfach nur in diesem Moment an diesem Ort zu sein. Ihn in sich aufzunehmen, ihn auf sich wirken zu lassen, wirklich dort zu sein!

Ich kann verstehen, dass die Vorstellung, “einfach nur da zu sitzen”, für manche vielleicht etwas befremdlich ist. Wer sich aber darauf einlässt, erlebt nicht selten einen ganz erstaunlichen Effekt: Nach anfänglicher Unruhe, weil man es nicht gewohnt ist, mit sich selbst etwas anzufangen, “gibt der Geist irgendwann auf” und Dinge, die sich bisher höchstens im Hintergrund abgespielt haben, werden viel präsenter.

Wie gesagt, das klingt für manche vielleicht etwas esoterisch, aber was kann schon Schlimmes passieren, wenn man es versucht? :-)

Umsetzung in der Praxis

Den gleichen Effekt kann man auch mit einem Elektro-Camper erzielen, wenn man es zulässt. Während ich immer wieder höre, dass es für viele Leute schlichtweg unmöglich sein soll, nach gut zweihundert Kilometern eine Ladepause einzulegen, denke ich nur daran, wie sehr ich mich darauf freue, mal wieder meine Nachrichten zu checken, mir einen Kaffee zu kochen oder mich einfach nur für eine Weile aufs Sofa zu legen und zu dösen.

Ganz nach dem Motto “Ladezeit ist Urlaubszeit!

Diese Sicht der Dinge lässt sich auf so ziemlich alles anwenden, was an einem Elektro-Camper angeblich so problematisch ist. Und wem das gelingt, für den lösen sich all diese vermeintlichen Probleme schnell in Wohlgefallen auf.

Ich kann verstehen, wenn der eine oder andere jetzt sagt, ich würde mir die Nachteile eines Reisemobils einfach “schön trinken”. Das kann man natürlich so sehen und ich bestreite das auch gar nicht.

Aber wie so oft ist es eine Frage der Perspektive, ob etwas ein Problem oder eine Chance ist. Und die Entscheidung für das eine oder andere trifft am Ende jeder ganz persönlich!

Fazit

Es läuft also alles auf die Frage hinaus, ob man willens und in der Lage ist, eingefahrene Wege zu verlassen und gewohnte Denkmuster in Frage zu stellen.

Ich sage übrigens nicht, dass die Antwort auf die Frage, ob man nicht auch mit weniger Entfernung und in kürzerer Zeit reisen kann, nicht auch “Nein” lauten kann. Das muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden.

Ich würde aber jedem raten, eine solche Veränderung nicht nur in der Theorie zu durchdenken. Wer also noch nicht von den Vorteilen des Slow Travel überzeugt ist, den möchte ich ermutigen, es selbst einmal auszuprobieren!

Published On: 3. April 2023
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